23 Iran zum Zweiten
Reisebericht 47 / Bandar Abbas (Fähre) - Tabriz (Esendere) / 04. 04. 2019 -23. 04. 2019
Kilometerstand von der Schweiz über China, Indien und Afrika: 134'400 km (Total 263'000 km incl. Panamericana)
Reiseroute: Bandar Abbas, Bam, Kerman, Shahdad, Wüste Lut, Kerman, Anar, Yazd, Esfahan, Kashan, Delijan, Karaj, Dizin, Now Shahr, Rashit, Astara, Ardabil, Tabriz, Esendere
Iran, die Achse der Freundlichkeit hat uns wieder
Zusammen mit zwei weiteren Schweizer Paaren, zwei Kuweitis, zwei Portugiesen, sowie einer Rumänischen- und Holländischen Familie fahren wir die steile Rampe empor, die uns in den Bauch der rostigen Fähre bringt. Dieser Seelenverkäufer sieht alles andere als Vertrauenerweckend aus doch haben wir eine Wahl......eher nicht. Die Alternative wäre eine Verschiffung von Dubai nach Europa und unsere Reise so zu beenden käme nur in einem Notfall in Frage.
Da wollen wir lieber die restliche Strecke bis zum heimatlichen Hafen gemütlich heimtuckern, vorausgesetzt, wir kommen heil im Iran an?!
Kaum haben wir um Mitternacht abgelegt, stehlen wir uns (verbotenerweise) in die Tiefe des altgedienten Stahlrumpfes und hauen uns im eigenen Fahrzeug aufs Ohr. Kein Lüftchen verirrt sich in den nach Diesel riechenden und von lauten Motoren stampfenden Frachtraumes. Obwohl das Thermometer im Innern des Suri weit über 30 Grad anzeigt, schlafen wir wahrscheinlich besser als zusammen mit den vielen Fahrgästen im unbequemen Sessel vor dem kreischenden Fernseher.
Im Hafen nimmt sich unsere bunt zusammengewürfelte Gruppe einen Schlepper, um das Ausreiseprozedere, das ausgerechnet auf einen islamischen Sonntag fällt, etwas zu beschleunigen. Dieser "Ausreisehelfer" bemächtigt sich bei der Ankunft in Bandar Abbas unserer Carnets und begibt sich mit seinem Auto auf die Suche nach dem Zöllner, der sich irgendwo in der Stadt aufhält. Es ist schliesslich Sonntag und da wird nicht gearbeitet. Anschliessend werden unsere Pässe bearbeitet und das Visa auf einem separaten Stück Papier abgestempelt, aus Rücksicht auf die Länder, denen der Iran nicht so freundlich zugetan ist.
4 Stunden später verlassen wir das Hafengelände und suchen uns einen Übernachtungsplatz mitten in der geschäftigen City. Am nächsten Morgen müssen wir erstmals Geld wechseln. Für einen Dollar bekommt man in einer Wechselstube 130'000 Rial. Iran hat eine der grössten Inflationsraten der Welt. Hat der Durchschnitts-Iraner sich etwas angespart ist es schon morgen nichts mehr Wert. Diese und andere Faktoren sprechen nicht gerade für eine zuverlässige, vertrauenerweckende Regierung und dementsprechend ist die Stimmung im Land.
Auch die SIM Karte ist leicht zu besorgen, doch als grösste Hürde entpuppt sich die Beschaffung der Haftpflichtversicherung. Bei der "Iran Insurance" werden wir schliesslich fündig und nach anfänglicher Ablehnung sowie gutem Zureden macht sich der Beamte doch noch daran, innert rekordverdächtiger Zeit von über zwei Stunden uns die Versicherung auszustellen. Lesen können wir übrigens nichts. Das ganze Formular ist auf Farsi, der landesweiten Sprache der Iraner ausgestellt. Hoffentlich steht da nicht, "jeder der das liest ist ein Esel". Das würde sich bei einer Polizeikontrolle als eher schlecht erweisen.
Vom Erdbeben zerstört
Bam, die alte Stadt mit ihren Lehmziegelhäusern war einst eine der Hauptsehenswürdigkeiten Irans. Doch ein verheerendes Erdbeben im Dezember 2003 hat die alte und neue Stadt Bam fast komplett zerstört. Dabei kamen 35'000 Menschen ums Leben.
Dieses Beben ist jetzt 16 Jahre her und noch immer sind viele Arbeiter mit Renovierungs- und Aufbauarbeiten beschäftigt. Wir schlendern durch die imposante Ruinenanlage wo man sagt, dass sie schon vor Christus gegründet wurde. Später während der sassanidischen Zeit wurde die Anlage immer mehr ausgebaut und später unter den Schutz der UNESCO gestellt.
Ob die alte Stadt je das Flair von früher erlangen wird sei dahingestellt. Wir auf jeden Fall finden das neu Aufgebaute Bam etwas steril, so ohne Leben, fast etwas künstlich. Aber eben, dies ist unsere ganz persönliche Sichtweise.
Das Beschaffen von Diesel war schon vor 5 Jahren, als wir auf der Seidenstrasse unterwegs waren und dabei durch den Iran fuhren, nicht immer einfach zu bekommen. Jeder der im Iran tanken will, muss eine sogenannte Diesel Karte vorweisen. Für Lastwagenfahrer ist dies stark reglementiert und genau auf seine Bedürfnisse abgestimmt.
Wir als Touristen haben natürlich keine Karte und das erste was der Tankwart wissen will, wo ist die Diesel-Karte? Auf diese Frage zuckt meine Schulter nach oben, setze zudem ein bedauernswertes Gesicht auf und versuche ihm zu erklären: "Ich bis Tourist hier im Iran und als Tourist bekommt man keine Diesel Karte. Könnte ich bitte über ihre Karte tanken?"
"Nein, ohne Diesel Karte keinen Diesel", sagt der Tankwart.
Somit kommt Plan B zum Einsatz. Der Platz bei der Zapfsäule ist natürlich immer noch mit unserem Fahrzeug belegt und die Kolonne der LKW's hinter mir wird länger und länger.
"Könnte ich über ihre Karte ein wenig Diesel beziehen", frage ich den bärtigen Lastwagenfahrer neben mir und zeige abwechselnd auf meinen geöffneten Tankdeckel und die Tanksäule. Natürlich sprechen alle Fahrer und der Tankwart nur Farsi, aber mit Händen und Füssen verstehen sie mich. Nach gutem Zureden zwinkert mir der Fahrer zu und gibt mir zu verstehen, dass er von seinem Kontingent 30 Liter Diesel für mich abzweigen kann. Das gleiche Spiel findet anschliessend mit einem weiteren und einem dritten Brummi Fahrer statt und zum Schluss habe ich 90 Liter Diesel, was für die nächste Zeit reichen wird. Beim bezahlen winken alle freundlich ab und sagen: "Willkommen im Iran. Das ist ein Geschenk von uns Lastwagenfahrern".
Wir sind überwältigt von der Freundlichkeit und Grosszügigkeit der Iraner. Da sie das zugestreckte Geld vehement ablehnen, wechseln ein paar Pack Süssigkeiten ihren Besitzer, was sie dankend annehmen.
Richtung Norden wird es dann einfacher und wir können über die Karte des Tankwartes den Diesel beziehen was im Süden leider nicht möglich war. Als Grund gibt uns später jemand bekannt, dass sie durch diese Massnahme den Schmuggel mit Pakistan und Afghanistan unterbinden wollen.
Und schmuggeln würde sich lohnen, kostet doch der Liter Diesel umgerechnet 4 Rappen, das sind 3,5 Euro Cent.
Einen 100 Liter Tank auffüllen für gerade mal 4 Franken. Für uns wie Weihnachten und Ostern zusammen.
Dascht-e Lut – Die heißeste Wüste der Welt
Östlich von Kerman, nahe der Grenze zu Afghanistan liegt die Wüste Lut. Für uns ist diese eine der grossartigsten dieser Welt. Wir befinden uns mitten in den sogenannten "Yardang-Formationen", die persisch "Kalut"genannt werden. Diese sind längliche Erosions-Gebilde, die durch in eine Richtung blasende Winde aus dem Sedimentgestein herausgeschliffen wurden. In einem Gebiet von 150 mal 80 Kilometern verlaufen diese Hügelketten, die aussehen wir riesige, aneinander geschichtete Maulwurfshügel. Sie verlaufen parallel von Nordwesten nach Südosten und wir sind mitten drin.
Drei Tage verbringen wir in dieser unwirklichen Welt, die genauso gut aus dem Roman "Herr der Ringe" entsprungen sein könnte. Hier erleben wir alle Facetten des Wüstenwetters innert kürzester Zeit.
Am ersten Tag ist es heiss und diesig. Hier in der Nähe befindet sich mit bis zu 71 Grad Celsius der heisseste Punkt der Erde. Am zweiten Tag kommt eine bedrohliche Wolkenwand auf uns zu gerast. Ein gewaltiger Sandsturm raubt uns komplett die Sicht. Orkanartige Windböen wechseln sich ab mit Hagelschauer und Wolkenbruch- artigen Regengüssen. Blitz und Donner im Minutentakt. Der Tag wird zur tiefsten Nacht. Es herrscht eine beängstigende Weltuntergangsstimmung. In kurzer Zeit sind die Vertiefungen in der Wüste mit Wasser gefüllt und von den Sanddünen ergiessen sich richtige Wasserfälle in jede noch so kleine Mulde.
Uns wird Angst und Bange. Kommen wir je wieder hier raus? Sind wir doch viele Kilometer abseits der Hauptstrasse den kleinen Spurrillen gefolgt, die uns quer durch die Lut Wüste auf eine prächtige Aussichtsplatzform gebracht haben.
Doch wie es angefangen hat, ist es auch schon wieder vorüber.
Der dritte Tag empfängt uns mit stahl blauem Himmel, moderaten Temperaturen und einer Ruhe, die man nur in der Wüste findet.
Die iranische Dascht-e Lut ist die heißeste Wüste des Planeten. Satelliten maßen im 2016 dort unglaubliche 78,2°C, was die höchste jemals auf der Erde gemessene Bodentemperatur darstellt. Doch zum Glück merkt man an diesem Tag von den über 78 Grad nicht all zu viel.
Yazd, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, gehört mit Isfahan und Shiraz zu den attraktivsten iranischen Städten. In der Mitte des Landes gelegen, wo die beiden grossen Wüsten Lut und Kavir aufeinandertreffen, ist ihre Architektur bestens an das heisse Klima angepasst. Das gut erhaltene historische Stadtzentrum besteht durchgehend aus Lehmziegelbauten hinter hohen, schattenspendenden Lehmmauern. Es wird von engen, teilweise überdachten Gassen durchzogen. Die hier typischen Windtürme bestimmen die Silhouette; sie sorgen in den Häusern für Kühlung. Dazwischen leuchten Kuppeln in Türkis. 2017 erklärte die Unesco die Altstadt von Yazd zum Weltkulturerbe.
Und hier, inmitten dieser historischen Bauten stellen wir uns vor dem Hotel Silkroad für die Nacht hin.
Im Hotel Mozaffar gönnen wir uns am nächsten Tag eine kleine Erfrischung. Dieser Prachtsbau wurde in traditioneller Lehmbauweise errichtet. Um zwei Innenhöfe gruppieren sich neunzehn im klassischen persischen Stil eingerichtete Zimmer. Nach einem Tag im orientalischen Trubel zwischen Moscheen und Basar gibt es kaum Angenehmeres, als in die Ruhe hinter den hohen Mauern einzutauchen.
Die Grenzen ausloten
Seit wir in Bandar Abbas von Bord der Fähre gegangen sind, trage ich lange Hosen und Ruth ein Kopftuch, so wie die Iranerinnen, die das Kopfhaar im öffentlichen Raum bedecken oder einen Tschador tragen müssen. Doch vor allem in den Städten wie hier in Yasz kämpfen junge Frauen beharrlich, Millimeter für Millimeter, für mehr Freiheit bezüglich ihrer Erscheinung. Viele von ihnen zeigen immer grosszügiger ihr Haar – sei dies eine wilde blondierte Mähne oder eine raspelkurz geschnittene Frisur, die dem Stoff gerade noch knapp Halt gibt.
Die Iraner scheinen geradezu besessen von Selfies – alleine, in Gruppen und äusserst gerne mit Touristen. Als Ausländer wird man speziell von jungen Leuten mit Selfie-Wünschen geradezu überschwemmt.
Überhaupt versucht man die strengen Gesetzeshüter auszutricksen wo es nur geht. So gibt es junge Frauen, die sich die Haare kurz schneiden und Männerkleider tragen, um mehr Rechte zu haben. Doch erst kürzlich wurde eine Fussball-Anhängerin festgenommen, die, als Mann verkleidet, ein Spiel ihres Lieblingsklubs besuchte. Mehrere Models wurden unlängst verhaftet, weil sie Fotos gepostet hatten, auf denen sie ohne Kopftuch zu sehen waren. Die Übertragung eines deutschen Fussballspiels wurde kurzerhand gestrichen, da die Schiedsrichterin "unverschämt" kurze Hosen trug. Das geht nun ganz und gar nicht.
Stupsnase als Statussymbol
Auf unserem Weg durch die Innenstadt von Yasd fällt uns etwas ganz besonderes auf, das weisse Pflaster!
Man will cool sein, modisch auf dem neuesten Stand und da kommt die plastische Chirurgie zum Zug. Natürlich sind das alles Äusserlichkeiten, doch scheinen auch diese im Land der Mullahs nicht ganz unwichtig zu sein. So lassen sich zahlreiche Iranerinnen – und auch Iraner – ihre persische Nase in ein Stupsnäschen verwandeln. Schönheitsoperationen boomen, und die Nase steht mit schätzungsweise 80 000 Eingriffen jährlich weit oben. Das weisse Pflaster über dem Nasenrücken ist längst zum Statussymbol geworden. Man sagt, dass es auch von jenen getragen werde, die sich den kostspieligen Eingriff gar nicht leisten könnten.
Das Leben im Land der Mullahs ist geprägt von Hoffnung, Auflehnung und Eitelkeiten.
Isfahan
Die 1,5-Millionen-Einwohner-Stadt Isfahan zählt zu den schönsten Städten des Orients. Wegen der gut erhaltenen Paläste, Kirchen und Brücken hat die Unesco Isfahan zum Weltkulturerbe erklärt.
Doch dies ist nicht der einzige Grund, warum wir Isfahan ansteuern. Exakt vor 5 Jahren, als wir unsere Reise starteten und Richtung Seidenstrasse aufbrachen, fuhren wir ebenfalls durch den Iran und haben dabei Nazanin und Behrooz kennengelernt. Sie sprachen uns damals auf dem Parkplatz vor der bekannten "Khaju" Brücke an und dies war der Beginn einer jahrelangen Freundschaft.
2017 weilte Nazanin bezüglich eines Fremdsprachen-Aufenthalts in Yverdon und hat uns in dieser Zeit zusammen mit 6 weiteren Freundinnen besucht.
Jetzt, zwei Jahre später besuchen wir sie erneut in ihrer Eigentumswohnung südlich von Isfahan. Die Freude ist gross, als wir uns in die Arme fallen. Ihr Sohn, der 3 1/2 Jahr alte Ryan beäugt uns noch etwas misstrauisch. Westler sind hier nicht oft zu Gast.
Wir schmunzeln ein wenig über ihre Inneneinrichtung. Wie vor 5 Jahren sind ihre Stühle und das Sofa immer noch in Plastik eingehüllt. Während dem reichhaltigen, süssen Apéro, es gibt Reismehlplätzchen mit Rosenwasser und Kardamonen, "Nan e-Berenji", sowie "Kolompeh". Das Letztere sind eine Art Kekse mit einer Dattelfüllung. Wir lieben diese Süssigkeiten, doch wir rutschen immer mehr auf unseren Hinterteilen umher. Es wird feucht und feuchter wie schon beim letzten Besuch. Kein Wunder, wir sitzen auf Plastik. Der Plastik, der die Möbel noch für die nächsten 20 Jahre zu Schützen hat.
Zurück zu den Süssigkeiten, mein absoluter Favorit sind die "Gaz".
Allein der intensive Duft von Gaz ist unglaublich! Es schmilz sehr langsam auf der Zunge und scheint sich wie eine Wolke , so leicht und zart, im Munde aufzulösen. Der Geschmack ist süß, intensiv und durch das Rosenwasser erfrischend.
Es wird hergestellt aus Eiweiß, Zucker, Rosenwasser und Pistazien. Einfach lecker.
Iran ist ein wahres Paradies für Schleckmäuler und Naschkatzen wie wir und beinahe jede Stadt hat seine eigene, traditionelle Süßigkeit.
Am nächsten Tag machen wir uns auf, zusammen mit Behrooz Isfahan zu erkunden.
Die Geschichte der Stadt reicht bis ins 9. Jahrhundert zurück, als Isfahan bereits ein Handelszentrum für Stoffe war. Der Safawidenschah Abbas machte Isfahan 1598 zur Hauptstadt Persiens. Heute ist Isfahan eines der wichtigsten touristischen Ziele im Iran, das jährlich von einigen Millionen Menschen aus aller Welt besucht wird. Wir setzen uns in eines der vielen Cafés und plaudern über sein Land, seine Wünsche und die Träume der iranischen Jugend.
"Wir sind weder gefangen noch frei", meint Behrooz. "Die ganze Nuklear-Diskussion um den Iran und die erneuten Sanktionen reissen nicht ab. Vor 5 Jahren, als ihr das letzte Mal hier gewesen seit, da hatten wir noch Hoffnung. Doch diese Hoffnung ist der Realität zum Opfer gefallen. Viele wollen nur noch ausreisen, weg aus diesem Land und ihr Glück im Ausland suchen"
Auf die Frage nach der iranischen Jugend meint er weiter: " Keine Jobs trotz Hochschulabschluss, wirtschaftliche Misere und ein Leben unter Kontrolle von Sittenwächtern und der Familie, eine ganze Generation junger Iraner will dem entkommen koste es was es wolle. Ich finde es grausam, dass die iranische Regierung eine ganze Generation zur Flucht zwingt. Es ist eigentlich keine Flucht im klassischen Sinne, sondern Migration über den Bildungsweg. Auch wir versuchen über das kanadische Studentenvisa anschliessend eine permanente Aufenthalts-Bewilligung zu erhalten. Drückt uns die Daumen, dass es gelingt."
Nicht nur Behrooz, auch andere zufällige Bekannte, sei es der Taxifahrer oder der Gemüseverkäufer sind der gleichen Meinung: "Die Iraner, sie glauben an den amerikanischen Traum – daran, dass im Westen alles möglich ist. Doch bislang ist dies nur im Privaten möglich, hinter den eigenen vier Wänden. Da gibt es Musik, Tanz, Alkohol, Drogen und auch Homosexualität“.
Vor rund 40 Jahren ereignete sich im Iran eine islamische Revolution, welche die damalige Monarchie beendete und eine Theokratie etablierte. Dem Revolutionsführer wurden fast uneingeschränkte Machtbefugnisse zugesprochen – mehr als dem vom Volk gewählten Staatspräsidenten. Die Freiheiten der Bürger sind massiv beschränkt, die Regeln des öffentlichen Lebens stark an der Religion ausgerichtet. So stehen zum Beispiel außereheliche Beziehungen oder das Trinken von Alkohol unter Strafe. Neben der Todesstrafe gibt es erniedrigende Strafen wie öffentliches Auspeitschen. Das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist stark eingeschränkt.
Vor allem die jungen Menschen leiden unter der schwierigen wirtschaftlichen Lage des Landes. 44 Prozent der Gesamtbevölkerung sind Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahren. Die Arbeitslosenquote liegt bei ihnen bei etwa 27 Prozent – und ist damit fast doppelt so hoch wie die durchschnittliche Arbeitslosenquote.
Viele Iraner denken, dass Europäer und Amerikaner glücklicher sind. Ob das nun stimmt sei dahingestellt, doch wir im Westen sind zweifellos freier und zu dieser Freiheit müssen wir Sorge tragen.
Freie Fahrt für unfreie Bürger
3 Tage verbrachten wir bei Behrozz und seiner jungen Familie. In dieser Zeit haben wir viel interessantes über sein Land, seine Kultur und seine Wünsche erfahren. Die Verabschiedung ist sehr herzlich und wir versprechen, immer in Kontakt zu bleiben und uns gegenseitig zu besuchen. Sei es in der Schweiz, im Iran oder in ihrer neuen Wahlheimat Kanada, wo sie gegenwärtig alles daran setzen, um dorthin zu gelangen. Wir hoffen es für sie.
Wir lassen auf unserer weiteren Tour gegen Norden Teheran aus, da wir diese Mega City vor 5 Jahren bereits besucht haben. Wollt ihr näheres zu Teheran, Shiraz oder weitere Städte erfahren, klickt einfach hier drauf und ihr werdet zu unserem alten Reisebericht vom Iran, April 2014, gelangen.
Dizin ist ein iranisches Skigebiet etwa 120 Kilometer nördlich von Teheran. Über die Shemshak-Dizin-Road fahren wir durch eine herrliche, wild romantische Bergkulisse bis auf 2700 Meter hinauf, wo wir unser Nachtlager auf einem Parkplatz aufschlagen. Der Skiort Dizin befindet sich im Elburs-Gebirge nahe dem Damawand und ist das bedeutendste Skigebiet des Landes.
Am nächsten Tag wandern unsere Blicke die weissen Berge empor und wir sind erstaunt, wie viel Schnee um diese Jahreszeit noch an den Hängen klebt.
Erstaunt nehmen wir zur Kenntnis, der Wintersport boomt im Iran, denn in den Skigebieten entkommt die Jugend Teherans zumindest für ein paar Abfahrten den Gängelungen der Ayatollahs, sowie dem Smog des Zwölf-Millionen-Molochs.
Spontan entschliessen wir, eine Skiausrüstung zu mieten und eine Tageskarte zu lösen. 54 Dollars bezahlen wir für die Miete der Ski, der Stöcke, der Schuhe und der Tageskarte für 2 Personen. In der Schweiz kostet dieser Spass locker das 5-fache, doch für die Iraner ist dieser Betrag, auch wegen dem starken Kurszerfall ihrer Währung, eine beachtliche Summe, die sich nur die besser Gestellten leisten können.
Auf der Piste treffen wir auf das modisch aufgetakelte, mit Skiern bewehrte Jungvolk Irans. Ausländische Gäste sind eigentlich keine auszumachen, ausser einem, wie es scheint, verirrten Schweizer Langzeit-Reise-Paar!
Die weissen Hänge mit ihren gut präparierten Pisten halten einer Gegenüberstellung mit unseren Pisten ohne weiteres stand, doch die Sessellifte und Bahnen scheinen aus einer anderen Epoche zu stammen. Alles ist tüchtig in die Jahre gekommen. Rost hat sich an den Seilbahnmasten angesammelt, die Türen der Gondeln lassen sich kaum schliessen und von Polstern auf den Bänken der Sessellifte haben sie noch nie was gehört.
Es sitzt sich wie auf einem Gitterrost und jede Wetter, eine Schildkröte würde uns bei der Geschwindigkeit des Sesselliftes locker überholen.
Genug der Kritik. Wir geniessen es, die Hänge hinunter zu gleiten, beobachten die Iraner wie sie ihre unvermeidlichen Selfies schiessen, Schneeballschlachten inszenieren und haben dabei einen grandiosen Blick auf die umliegenden Berge.
Nur in der Ski-Beiz, da gibt es weder Jägertee noch Kafi-Zwetschgen. Die kalten Hände müssen mit Schwarztee und Cappuccino aufgewärmt werden.
Die Nacht verbringen wir erneut auf dem Parkplatz der Seilbahn. Haben die Berge am Vortag noch in der Abendsonne geleuchtet, rieseln jetzt dicke Schneeflocken auf uns nieder. So beschliessen wir, auf der kleinen, gewundenen Strasse zurück zu fahren und so schnell als möglich in tiefere Lagen zu gelangen, bevor der Pass eventuell gesperrt wird.
Weiter unten geht der Schneefall in Nieselregen über. Nebel schleicht sich über die Bergrücken. Voller Hoffnung auf besseres Wetter nähern wir uns dem Kaspischen Meer. Mögen die Erwartungen gross gewesen sein, die Ernüchterung ist noch um etliches grösser.
Der ganze Küstenabschnitt ist komplett verbaut. Einen Zugang zum Strand findet man nur schwer und hat man ihn gefunden, schlägt einem trüb-braunes Wasser entgegen. Auf den gleichfarbigen Schaumkronen tanzt der Müll der picknickenden Iraner.
Wahrlich, ein Traumstrand sieht anders aus.
Die wenigen Badestellen sind nach Geschlechtern getrennt. Wäre das Wetter besser, es regnet immer noch in Strömen, müssten die Frauen in ihren langen Gewändern in diese Sauce steigen. Wie muss sich das wohl anfühlen?
Auch am dritten Tag am Kaspischen Meer ist und bleibt das Wetter schlecht.
Übrigens, das Kaspische Meer ist das größte Inlandsgewässer der Erde und es besitzt auch keinen Abfluss. Es speist sich nur aus der Wolga und mehreren Dutzend kleineren Flüssen und den Niederschlägen. Der Pegel dieses zwischen Europa und Asien liegenden Binnenmeeres liegt rund 27,5 Meter unter dem mittleren Meeresspiegel.
Er heißt Meer, weil er so groß ist und weil das Wasser recht viel Salz enthält. Es ist ungefähr ein Drittel so salzig wie Meerwasser. Trotzdem ist das Kaspische Meer ein See, weil es von Land umschlossen ist.
Der Basar von Tabriz, ein exotischer Handelsknotenpunkt
Schneeregen und kalte Temperaturen bleiben auch weiterhin unsere ständigen Begleiter. Als wir in Tabriz ankommen, einer der grössten Städte Irans, schneit es in grossen Flocken.
Merfan von der Stadtverwaltung meint: "Seit 10 Jahren hat es hier in Tabriz nicht mehr im April geschneit. Geht doch in den Bazar, der ist überdacht und zudem einer der ältesten seiner Art in der Welt."
Wir bedanken uns für den Tipp, trinken noch einen Chai zusammen, rufen ein Taxi und begeben uns zu diesem vielseitigen Markt, der seit 2010 auf der Unesco-Welterbeliste steht.
Der komplette Basar, einige Teile wurden bereits im 16. Jahrhundert errichtet, ist etwa 1,5 Kilometer lang und hat eine Gesamtfläche von 300 Hektar. Neben einer Teppich-, Schmuck- und Gewürzabteilung hat der zentral gelegene Basar auch einen umfangreichen Frischmarkt.
Wir schlendern durch den weitgehend überdachten Markt, kaufen noch ein wenig Safran und Datteln für die daheim Gebliebenen und wechseln bei den halb-offiziellen Wechselstuben Dollars zu Rials bei einem bedeutend besseren Kurs als auf der Bank.
Der Basar ist ein einziges, grosses Einkaufszentrum das etwa 5500 Geschäfte beherbergt. Wo gibt es noch so was!
Nach 3 intensiven Wochen verlassen wir den Iran. Am Grenzort Esendere überqueren wir die Grenze in die Türkei und sind damit der Heimat ein wenig näher gerückt.
Fazit
Im Gegensatz zu 5 Jahren als wir den Iran zum ersten Mal bereist haben, sind wir jetzt erstaunt wie offen und meist negativ über Politik gesprochen wird. Etliche Menschen sind sich der Vorherrschaft der Mullahs überdrüssig. Sie möchten "Mehr Demokratie wagen", getrauen sich dann doch nicht öffentlich auf die Strasse zu gehen.
So ein Zeitfenster haben wir im Sudan erlebt. Die Menschen waren auf die Strasse gegangen für mehr Demokratie, mehr Selbstbestimmung, eine neue Regierung, einfach für ein besseres Leben und haben damit vor gut 3 Wochen effektiv einen Machtwechsel herbeigeführt.
Doch diese Aufbruchstimmung nach einem neuen System ist noch nicht so Ausgeprägt im Gottesstaat Iran. Viel mehr herrscht eine Aufbruchstimmung im wörtlichen Sinne.
Unsere Freunde aus Isfahan, sowie weitere Bekannte aus ihrem näheren Umfeld, alles gut ausgebildete Leute, möchten nichts sehnlicher als nach Übersee auswandern. Für diesen Zweck machen sie Aufnahmeprüfungen und schreiben Gesuche für Studenten-Visa oder Aufenthaltsgenehmigungen vornehmlich für Kanada.
Aus meiner Sicht ist es ein Armutszeugnis des Iranischen Staates, dass er nichts dagegen unternimmt. Eine ganze Generation von gut ausgebildeten Menschen möchte nur noch weg, genau diese Menschen, die der Staat so dringend braucht für den Aufbau ins nächste Jahrhundert!
Genug der Politik, diese Zeilen würden wahrscheinlich schon reichen, um im Iran hinter Schloss und Riegel zu kommen.
Was sich aber in den vergangenen Jahren nicht verändert hat ist die Gastfreundschaft und die Liebenswürdigkeit der Iraner selbst. Immer wieder werden wir angesprochen mit den Worten: "Welcome to Iran" - "Do you need some thing" - "Can I help you" - "Do you like a chai"? Und so sitzen wir oft mit einem uns zuvor Unbekannten Iraner auf einem Teppich und trinken Tee. Plaudern über sein Leben, seine Pläne und sind dankbar, das alles erleben zu dürfen.
Die Reisevagabunden
Ruth und Walter