Reisebericht 44 / Sao Paulo (Brasilien) - Rio de Janeiro (Brasilien) / 10. Mai 2012 - 10. Juni 2012 / 109'900 km - 110'800 km

Reiseroute: Sao Paulo, Sao Sabastiao, Ilhabela, Ubatuba, Parati, Rio de Janeiro

Serro do Mar, die Hügelkette am Meer

Rund 210 mal größer als die Schweiz ist Brasilien und nimmt damit mehr als die Hälfte von ganz Südamerika ein. Kaum vorstellbar, dass das kleine Land Portugal dieses riesige Gebiet als Kolonialmacht beherrschen konnte. Die andere Hälfte des Kontinents hatte Spanien unter seiner Knute. Deshalb spricht die Bevölkerung von Südamerika auch heute noch entweder Spanisch oder Portugiesisch. Mit dem zweiten haben wir immer noch unsere liebe Mühe. Die Brasilianer verstehen mehr oder weniger unser Spanisch, aber wenn die Antwort auf Portugiesisch kommt, schauen wir uns nur gegenseitig ratlos an. Irgendwann wird es sicherlich besser. Wie heisst es doch, "die Hoffnung stirbt zuletzt".

Hinter uns, vor uns, links und rechts! Wir sind eingekeilt zwischen dröhnenden und stinkenden LKW's. So umfahren wir Sao Paulo, die drittgrösste Stadt der Welt, in dessen Grossraum um die 18 Millionen Menschen leben. Es ist die lateinamerikanische Business-Hauptstadt. Über unsere Köpfe schwirren die Hubschrauber. Vermutlich wollen die Geschäftsleute die chronisch überlasteten Autobahnen auf diese Weise umgehen. Nicht umsonst gibt es hier die meisten Helis der Welt. Wir jedoch sind froh, diesen Moloch heil durchfahren zu können. Gewiss gäbe es auch hier viel zu besichtigen, aber die nächste Stadtbesichtigung heben wir uns für Rio de Janeiro auf.

Ein paar km nördlich fängt schon der Wald der Küstenkordillere an. Mittlerweile sind gerade noch 7% seiner ursprünglichen Fläche übrig geblieben. In gewisser Weise ist an ihm bereits vollführt, was in Amazonien gerade seinen Lauf nimmt. Vor uns steigen die feuchtwarmen Luftmassen, die vom Meer her kommen, an den steilen Berghängen empor und regnen sich dabei ab. Seit einigen Tagen spühren wir das am eigenen Leib, dass diese Ecke Brasiliens zu den feuchtesten der Region zählt.

So entschliessen wir, auf die "Ilhabela", was soviel heisst wie, "schöne Insel", rüberzusetzen, in der Hoffnung, der Name trifft zu und der Regen findet diese Insel nicht. Eine Fähre bringt uns über die Meeresenge auf die mit atlantischem Regenwald, hunderte von Stränden und etlichen Wasserfällen gesäumte Insel. Im Norden finden wir auf einer Anhöhe einen schönen Campingplatz mit Swimmingpool und stossen mit einem Caipirinha auf den ersten regenlosen Tag seit langem an.
Es ist eine Insel auf der hauptsächlich die brasilianische Oberschicht ihre Ferien verbringt. Das Preisniveau entspricht etwa demjenigen der Schweiz und ist eindeutig das höchste, was wir auf unserer Reise erlebt haben. Im Buss sprechen wir mit einem jungen Mann, der an der Reception eines besseren Hotels arbeitet: "Ich verdiene im Monat 500 US$ und die Hälfte geht für die Miete der Wohnung drauf. Somit bleiben mir noch 250 US$ für die restlichen Auslagen wie Nahrungsmittel usw. Dieses Saläir reicht bei weitem nicht. So wie mir geht es den meisten Brasilianern. Die Lebenshaltungskosten sind sehr hoch, aber das Einkommen viel zu niedrig. Doch es gibt sehr wohl Leute, die von diesem System profitieren. Das sind dann die reichen, die super reichen Brasilianer, denen auch die Villen hier auf der Insel gehören."

Da wieder einmal eine Regenfront über die Insel zieht entschliessen wir uns, auf das Festland überzusetzen. Auf der Fahrt Richtung Fähre kommt uns ein Toyota Bus mit AG Kennzeichen entgegen. Es sind Thomas und Anke. Sie sind schon seit 2 1/2 Jahren auf Südamerika Reise und wir plaudern so lange am Strassenrand, bis es schliesslich zu spät wird, die Insel zu verlassen. So suchen wir zusammen ein schönes Plätzchen mit Blick über die Bucht, kochen gemeinsam ein leckeres Abendessen und plaudern bis in die frühen Morgenstunden.

Eine Zeitreise in die Vergangenheit

Kopfsteinpflaster, weiß getünchte niedrige Häuser, farbige Fenster- und Türumrahmungen, sowie rostrote Ziegel auf dem Dach sind typisch für Parati. Große Bedeutung erlangte diese Stadt vor allem im Laufe des 17. Jahrhunderts, da von hier aus das im Bundes Staat "Minas Gerais" gefundene Gold nach Portugal verschifft wurde. Als Gegenleistung lieferte die portugiesische Krone die Steine, mit denen heute die Strassen bepflastert sind. Diese wuchtigen Pflastersteine dienten den Schiffen auf der Herfahrt als nötigen Ballast und die versklavten Indianer oder verschleppten Afrikaner durften sie verlegen. Diese Strassen wurden einst auf Meereshöhe angelegt, damit die Abwässer weggespühlt werden konnten.

Leider regnet es immer noch, wie übrigens seit Tagen, und das Wasser steht knietief in den mit Pflastersteinen ausgelegten Gassen. Schweren Herzens verzichten wir auf einen abendlichen Restaurantbesuch, da uns die Preisvorstellungen der noblen Hotels auf den Appetit schlagen. Die Nähe zu Sao Paulo und Rio zeigt sich nicht nur an den Menschenmassen sondern auch an den Menupreisen. So erstehen wir einen frischen Fisch auf dem lokalen Markt und essen ihn genüsslich in unseren eigenen vier Wänden.

Vom Übernachtungsplatz an der Hafenmole aus haben wir eine wunderschöne Sicht auf die vorgelagerte Inselwelt und die malerische Kulisse der nahen Altstadt, die von der UNESCO unter Denkmalschutz gestellt worden ist.

Wo der Strand zum Wohnzimmer wird

In Rio geht man nicht "mal eben zum Baden", den für die Einheimischen, die Cariocas ist der Strand ein zweites Zuhause. Dort begegnen sie Ihresgleichen, treiben Sport und trimmen ihre Körper für den nächsten Beach-Auftritt.
Staunen und bestaunt werden, das ist ihr Lieblingsspiel und für viele der einzige Reichtum.

In der Zwischenzeit haben wir uns durch das Verkehrs-Chaos von Rio hindurchgeschlängelt und befinden uns auf dem Parklatz unterhalb des Zuckerhutes, wo wir unser Nachtlager beziehen.
Wir haben schon ruhigere Übernachtungsplätze auf unserer Reisen gefunden. Bis spät nachts schlendern die "Cariocas" am Strand entlang, gehen in die nahe Disco und ein paar Meter neben unserem Wohni wird ein Imbissstand aufgebaut, samt dazugehörigem Generator. Das Leben pulsiert in unmitelbarer Nachbarschaft.
Doch wir fühlen uns sicher. Rundherum befindet sich eine Militärzone und der Platz ist dementsprechend bewacht.

Am nächsten Morgen, bevor die Touristenmassen erwachen, fahren wir mit der Gondelbahn auf den Zuckerhut. Die Aussicht auf Rio und seine Strände ist einfach umwerfend und ein Geschenk Gottes an die Postkarten-Industrie.
Im Norden befindet sich der Corcovado, wo die Christusstatue seine Hände mit 23 Meter Spannweite schützend über die Metropole hält und im Süden dehnt sich die weisse, sichelförmige Küstenlinie aus.

Über zehn Millionen Einwohner leben eingezwängt zwischen dem granitgrauen Kegel-Monolithen und dem grünwucherndem Dschungel. Unser Blick schweifft über die Geschäfthäuser, Villenviertel und Favelas, die Elendsviertel, die wie Kletten an den Hügeln hängen und weiter hinten glitzert der blaugrüne Strand der Copacabana. Jedes Tal, jede noch so kleine Nische ist besetzt und nur die steilen Felsdome ragen aus der dichtbevölkerten Landschaft.

Auch von hier oben sind die Gegensätze innerhalb der brasilianischen Bewohner klar erkennbar. Einerseits sind hier die Favelas, die sich wie ein Krebsgeschwür den Berg hinauf ziehen und auf der anderen Seite befinden sich die abgeschirmten Wohnsilos der reichen Gesellschaft. Vergitterte Fenster, bewaffnetes Wachpersonal, hohe Mauern, die mit Glasspittern gesichert sind und zudem noch einen Hochspannungs-Draht darüber angebracht haben mit der Aufschrift, "Vorsicht Lebensgefahr".
Das ist der Preis der vermögenden Gesellschaft, um selbst einigermasen in Sicherheit, in einem abgeschirmten, mit bissigen Hunden überwachten Ghetto, leben zu können.
Speziel in Grossstädten ist die Angst der Reichen riesig, Opfer eines Überfalls zu werden.

Wir fahren mit der Gondel zurück auf den Parkplatz und nehmen die U-Bahn, die uns zur berühmt- berüchtigten Copacabana bringt.
Das erste, was wir sehen, sind die Jogger. Eine ganze Armada von schwitzenden, trabenden Einzelgängern mit dem obligatorischen Stöpsel des iPhone im Ohr, schnauft an uns vorüber, auf der Suche nach der ultimativen Sommer Fitness. Daneben werden die Netze der Volleyballer gespannt und Bälle geschmettert.

Am besten lässt sich das von einer der zahlreichen Strandkneipen aus beobachten, mit einem eisgekühlten Caipirinha in der Hand.
Meine Augen schweiffen zu den Frisbeewerfern, dann zu den Surfern und bleiben schliesslich an den mit winzigen Tangas bekleideten weiblichen "Cariocas" hängen. Mir scheint, dass die Strand-Schönheiten einen Grossteil ihres Badeurlaubes damit verbringen, jene vier Dreiecke ihres winzigen Bikinis in Positur zu bringen. Ununterbrochen wird gezupft, gerückt und geschoben. Sei es vor dem - sich in den Sand setzen - oder nach dem Abkühlen im nahen Meer.
Die Designer dieser vier winzigen Dreiecke, aus denen so ein Tanga besteht, brauchen nur von Saison zu Saison diese noch winziger zu machen und dafür überproportional die Preise zu erhöhen. So kam wahrscheinlich die jüngste Millionärs-Schicht der Stadt zu ihrem Geld. In der Zwischenzeit können brasilianische Tangas in Streichholzschachteln verkauft werden, samt Ersatzschnürchen.

Aber natürlich besteht Rio nicht nur aus Sand und Strand und dem dazugehörigen Fitnesswahn, nein, Rio hat auch eine bemerkenswerte Altstadt. Speziell das "Teatro", ein erhabener, an die Pariser Oper erinnernder Bau und die "Confeitaria Colombo" haben es uns angetan.
Hier genehmigen wir uns ein Café mit Kuchen in einer imposanten Atmosphäre zwischen gewaltigen Spiegeln und Jugendstillampen. Es ist eines der ältesten Cafés von Rio, das uns stark an die Wiener Kaffeehäuser erinnert.

Freud und Leid ist oft näher als man denkt

Eben bekommen wir eine unerfreuliche Nachricht, dass es meiner Mutter sehr schlecht geht. Wir beschliessen, so schnell als möglich nach Hause zu fliegen. Der Flug ist schnell arrangiert, aber es erweist sich als überaus schwierig, in der sogenannten "gefährlichsten Stadt der Welt", eine sichere Bleibe für unser Wohni zu finden. Schliesslich finden wir auf einem Camping, etwa 50 km ausserhalb der Stadt, einen geeigneten Platz.

Zu Hause, in der Schweiz angekommen, befindet sich meine Mutter effektiv in einem sehr kritischen Zustand. Anfangs hatten wir noch Hoffnung, dass sich alles zum Guten wendet, aber ein paar Tage später teilt uns der Arzt mit, dass es leider keine Hoffnung mehr gibt.
So konnten wir uns in den Tagen vor ihrem Tod noch gegenseitig aussprechen und es blieb kein ungutes Gefühl zurück "hätte ich doch blos" oder "warum habe ich nicht".

Wir sind überaus dankbar, dass wir die letzten Tage bei Ihr sein durften und uns voneinander verabschieden konnten.

Es zeigt einmal mehr, wie vergänglich unser Leben ist und dass man seine Träume und Wünsche nicht hinausschieben sollte, bis es vielleicht zu spät ist.

In ein paar Wochen werden wir den letzten Reiseabschnitt unter die Räder nehmen und wir sind uns sicher, dass sie in Zukunft in unseren Herzen noch näher bei uns und unseren Abenteuern sein wird.

Viel zu spät begreifen viele die versäumten Lebensziele:
Freude, Schönheit der Natur, Gesundheit, Reisen und Kultur.
Darum, Mensch, sei zeitig weise!
Höchste Zeit ist's! Reise, reise!

by Wilhelm Busch