Reisebericht 40 / Asuncion (Paraguay) - Coihaique (Chile) / 2. Dezember 2011 - 31. Januar 2012 / 93'800 km - 98'600 km

Reiseroute: Asuncion (Paraguay), über die Grenze nach Argentinien, Resistencia, Santa Fe, Rosario, Santa Rosa, Puerto Madryn, Peninsula Valdes, Punta Ninfas, Punta Tomba, Trelew, Gaiman, Las Plumas, Paso de Indios, Rio Pico, Lago Vintter, Trevelin, Esquel, Corcovado, über die Grenze nach Chile, Palena, La Junta, Puyuguapi, Puerto Cisnes, Coihaique, Cochrane, Caleta Tortel, Villa O' Higgins, Cochrane, Chile Chico, Puerto Ibanez, Coihaique

Keine Bundesrats-Wahlen, aber ein Wal-Theater der anderen Art.

Infolge des Getriebeschadens und der daraus folgenden 2-monatigen Verzögerung, mussten wir unsere Pläne wegen der Regenzeit in Brasilien ändern.
Wir entscheiden uns, so schnell als möglich Richtung Peninsula Valdes zu fahren. Beim letzten Besuch dieser Halbinsel haben wir die Orkas gesehen, jedoch die Wale verpasst. Laut Reiseführer und wir hoffen, die Wale lesen ebenfalls diesen Reiseführer, sind sie noch bis Mitte Dezember rund um Valdes.

6 Tage und 2500 km später, treffen wir am "Golfo Nuevo", an der patagonischen Atlantikküste an. Kurz vor dem Tierschutzgebiet parkieren wir unseren Suri direkt am Meer und sind vorerst ein wenig enttäuscht. Weit und breit kein Wal zu sehen.
Am nächsten Tag treffen Margrit und Peter mit ihrem Duro bei uns ein. Erst vor 3 Wochen sind sie mit ihrem Offroad - Mobil mit dem Schiff in Buenos Aires angekommen. Wir haben uns hier verabredet, GPS und SMS sei dank, da sie für uns eine neue Wasserpumpe aus der Schweiz mitgebracht haben. Wie immer gibt es viel zu erzählen bis spät in die Nacht.
Tags darauf fahren wir zusammen die 100 km lange Schotterpiste zum Punta Norte, wo wir am letzten April Orcas gesehen haben.
Doch von diesen Tieren ist zur jetzigen Zeit nichts zu sehen. Dafür hat es jede Menge Seelöwen und See-Elephanten.
Die Seelöwenmännchen tragen eine Mähne und die See-Elephanten Männchen einen Elephanten ähnlichen Rüssel. Die Machos unter den See-Elephanten machen es sich zwischen ihrem Harem bequem und nur zwischendurch verjagen sie mit lautem Geschrei einen Nebenbuhler.
Auf der östlichen Seite der Halbinsel besuchen wir noch eine Kolonie von putzigen, schwarzweissen Magellan-Pinguinen.

Im örtlichen Tourismusbüro von "Puerto Madryn" können wir eine leichte Enttäuschung nicht verbergen.
Die Dame meint: "Dieses Jahr sind die Wale schon früh weitergezogen. Es gibt noch ein paar Tiere, die sind aber nicht vom Ufer aus sichtbar, sondern nur auf einer "Whale-Watching" Tour."
Da wir unser Budget nicht schon wieder übermässig strapazieren wollen, verzichten wir auf diese nicht gerada preiswerte Tour. So fahren wir an den gegenüberliegenden Strand von "Puerto Pardelas", wo schon 4 andere Reisemobile aus Deutschland und Österreich stehen.
"Nein, nein, ihr braucht keine Tour zu machen", teilt uns der "Steiermarker" euphorisch mit, "morgens und abends schwimmen die Wale direkt an der Küste vorbei und ihr könnt sie fast berühren."
Tatsächlich! Kaum angekommen gleiten die mächtigen Glattwale keine 10 Meter von uns entfernt gemähchlich hin und her auf der Suche nach Plankton und Krill. Diese 30 t schweren und bis zu 12 m langen Wale haben keine Zähne. Sie filtrieren ihre Nahrung mit ihren fransigen Barten, die vom Oberkiefer herabhängen. Glattwale bewegen sich im Vergleich zu anderen Walen sehr langsam. Diese Langsamkeit und die Tatsache, dass ihre fettreichen Leiber im Gegensatz zu anderen Walarten auf der Wasseroberfläche treiben, machten sie zu einer bevorzugten Beute für Walfänger. Seit einem halben Jahrhundert stehen sie unter Schutz, sodass sich die Bestände allmählich zu erholen beginnen.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt tummeln sich noch 2 bis 3 Walkühe mit ihren Jungen in der Bucht. Die meisten haben ihre Kinder zwischen Oktober und November bekommen und sind nun mit ihrem Nachwuchs Richtung Antarktis unterwegs.
Noch nie zuvor haben wir Wale so nah gesehen. Immer wieder schieben sie ihre massigen Körper aus dem Wasser, als würde soeben ein U-Boot auftauchen. Manchmal schwimmen sie mit ihrem unförmigen, von Muscheln und hornigen Hautwucherungen überzogenen Köpfen, direkt auf uns zu und blasen ihre Wasserfontäne wie ein Spritzbrunnen gegen den Himmel.
Auch Nachts hören wir ihre Geräusche, als würde jemand einen Wasserschlauch öffnen.
3 Tage verbringen wir an diesem Strand und bewundern die grauen Riesen, wie sie auf und ab schwimmen, ihre Finnen aus dem Wasser ragen und die Jungen purzelbäume Schlagen. Ein faszinierendes Schauspiel.

Unser nächstes Ziel an der Ostküste Agentiniens ist "Punta Ninfas". Hier, am südlichsten Punkt der Valdes - Halbinsel, befindet sich der Eingang zur Bucht des "Golfo Nuevo". An diesen nahrungsreichen Gewässern hat sich eine See-Elephanten Kolonie angesiedelt. Wir parkieren unseren Suri dicht oberhalb der Klippen und haben eine fast unendliche Aussicht über die weite Ebene und den unterhalb der Steilwände dösenden See-Elephanten.
Ein schmaler, steiler Pfand führt hinunter an den Strand und wir können die Tiere aus nächster Nähe betrachten. Hier liegen die See-Elephanten, hauptsächlich weibliche mit ihren Babys, dicht gedrängt am Strand und lassen sich die Sonne auf das Fell brennen. An Land sind sie schwerfällig und unbeholfen und bereis nach ein paar Metern mühsamen robbens, bleiben die übergewichtigen Tiere erschöpft liegen. Da nicht Paarungszeit ist, sind die meisten Männchen weit draussen im Meer beim fischen. Nur ein einzelner grauer Bulle, der in etwa das Gewicht von unserem Wohni auf die Waage bringt, 3,8 Tonnen, schnuppert mit seiner typischen Rüsselnase in unsere Richtung.

Weiter geht die Fahrt gegen Süden auf einer staubigen Naturstrasse. Nandus, die patagonischen Strausse, flüchten mit wehenden Flügeln vor unserer Staubfahne, Maras, südamerikanische Hasen, springen mit über 50 kmh vor unserem Wohni bis sie endlich einen Hacken ins Gebüsch schlagen und Guanakos grasen das kärgliche Steppengras ab.
Es ist eine eintönige Fahrt durch ein karges, unfruchtbares Land. Trotzdem haben hier einige Farmer eine bescheidene Existenz aufgebaut. Wie lehmfarbene Punkte liegen die "Haziendas" in der unendlichen, löwenfarbenen, wasserlosen Steppe.

Punta Tomba ist der grösste Pinguin-Nistplatz ausserhalb der Antaktis. In der Kolonie leben über eine halbe Million Magellan-Pinguine. Wege und Brücken führen durch das Schutzgebiet und "Ranger" achten aufmerksam, dass die Frakträger Vortritt haben.
Mitte November, wenn die Jungen schlüpfen, teilen sich die Eltern die Aufzucht und Fütterung der Küken mit vorverdauten Tintenfischen und anderen kleinen Fischen. Zu dieser Zeit im Jahr, im Dezember, herrscht ein chaotisches Gewusel von hungrigen, erwartungsvollen Pinguinjungen die neugierig aus ihren Erdhöhlen schauen. Elterntiere tauchen ins Meer und kommen im Gänsemarsch mit Futter zurück. Wohin wir auch schauen, überall sehen wir Pinguine und verstreut angelegte Höhlen. Es ist ein ständiges kommen und gehen.

Wir verlassen definitiv die Küste und fahren ins Landesinnere Richtung Gaiman. 1865 landeten hier die ersten walisischen Einwanderer, denn die argentinische Regierung hatte ihnen im unteren Tal des Rio "Chubut" Land gegeben. Noch heute zeugen viele alte Backsteinhäuser von den einstigen Kolonisten. Weiter westlich haben wir direkt am Rio Chubut, der im Laufe der Zeit eine grandiose Schlucht aus dem Sandstein gefressen hat, einen idyllischen Übernachtungsplatz gefunden.
2 Nächte bleiben wir hier, doch bei der 3. Nacht entschliessen wir uns, es ist schon dunkel, den Schlafplatz zu wechseln. Eine argentinische Familie schlägt nicht weit von uns entfernt ihre Zelte auf. Der Kofferraumdeckel wird aufgeklappt und wir werden mit Musik zugedröhnt. Trotz starkem, trockenem Wind wird ein riesen Feuer entfacht, damit die halbe Kuh, die kurz danach auf den Grill geschmissen wird, auch genügend Hitze hat. Das wäre ja nicht das Problem, aber die ganze Glut windet es direkt zu uns rüber. Ihr einziger Kommentar auf meine Bedenken "Tranquillo", was soviel heisst wie "ist doch kein Problem"!

Den nächsten Tag durchqueren wir das südliche Argentinien von Ost nach West. Die heisse und trockene Pampa ist das erbarmungslose und riesengrosse Herz Patagoniens. Gelegentlich können wir in der kargen Landschaft die steinernen Ruinen einer längst aufgegebenen Hazienda entdecken, deren bröckelnde Wände nur noch von Schlangen und Thermiten bewohnt werden.
Immer wieder wirbeln Staubwolken auf wie riesige Rauchsäulen. Die Landschaft, dessen runzlige Furchen wie eine schlecht verheilte Wunde aussehen, liegt in einem sonnenerhitzten Ofen unter einem gebleichten Himmel.

Im Westen angekommen, erheben sich die mächtigen Andengipfel. Mit ihren winterlichen weissen Kopftüchern aus Schnee sehen sie aus wie Riesen, die sich über die Blumenbeete beugen. Es ist Frühling. Wildblumen leuchten in den schillersten Farben am Wegesrand. Hier müsste jeder Blumenladen innert Kürze seine Tore schliessen, denn Mutter Natur übertrifft bei weitem jedes künstlich angelegte Treibhaus. Tausende, wenn nicht Millionen von violetten Lupinien wachsen hier um diese Jahreszeit.

Wir übernachten an den kalten Seen, die randvoll mit Gletzscherwasser gefüllt sind. In diesen Breitengraden ist der Sommer nur kurz. Unseren Traumplatz haben wir am abgelegenen Lago Guacho gefunden, wo wir einmal mehr direkt am See campieren. Das abendliche Grillfeuer wärmt unsere Glieder und das Assado füllt unsere Mägen. Ausser den vielen Kanninchen, die immer wieder durch die Gegend hoppeln, sehen wir keine Menschenseele.
Jedoch zwingt uns das kalte und windige Wetter schon am nächsten Tag weiterzureisen.
In Tevelin stocken wir bei einem "Supermercado" unsere Vorräte auf. Hier treffen wir auf Bea und Rolf. Sie leben schon seit etlichen Jahren abwechselnd in Argentinien und der Schweiz. Mit ihrer "Fidibustour" www.fidibustours.de, bieten sie abenteuerlustigen Leuten eine 4-wöchige Tour durch das Andenhochland oder nach Patagonien an.
Auch sie bestätigen uns, was wir in letzter Zeit des öfteren gehört haben, dass in der Region um Bariloche das Reisen alles andere als angenehm ist.

Schon seit einiger Zeit spuckt der Vulkan "Puyehue" in den chilenischen Anden Asche, Lava und Gesteinsbrocken aus. Die Aschewolke wird aus dem Süden Chiles Richtung Argentinien und bis zum Südantlantik getrieben. Gesteinsbrocken werden kilometerweit geschleudert und landen sogar auf argentinischem Staatsgebiet.
Im benachbarten Argentinien sind vor allem die Städte Bariloche und Villa la Angostura betroffen. Eigentlich die Orte, in dessen Region wir die nächsten Wochen verbringen wollten.
Wie aus den Zeitungen ersichtlich ist, bedeckt eine mehrere Zentimeter dicke Ascheschicht Häuser, Strassen, Bäume und Autos. Zusätzlich werden die Bewohner aufgefordert, möglichst zu Hause zu bleiben.

Zurück nach Chile

So ändern wir kurzerhand unsere Pläne und werden in den nächsten paar Wochen erneut die "Carretera Austral", im südlichen Chile, befahren.
Eigentlich macht gerade das den Reiz des Reisens aus. Man kann einfach seine Pläne über den Haufen werfen und sich total neu orientieren. So fahren wir statt in den Norden jetzt wieder in den Süden. Auch das Wetter hat sich in der Zwischenzeit gebessert. Anstatt Trüb und Nass, scheint nun die Sommer Sonne von einem wolkenlosen Dezember Himmel.

Über "Lago Rosario" dessen Gemeinde von "Mapuche Indigenen" verwaltet wird, fahren wir ein paar Tage später erneut zum Lago Guacho. Hier erwarten uns schon Bea und Rolf, denn wir wollen an diesem wundervollen See zusammen Weihnachten feiern.
Am 24. Dezember müssen wir noch unser Weihnachts-Essen besorgen und so marschieren wir mit der Angelroute bewaffnet zum nördlichen Ende des Sees.
Es herrscht Freude! Schon nach kurzer Zeit fange ich meinen ersten patagonischen Fisch und 3 Stunden später sind schon 7 Fische mit einem Gewicht von 10 kg aus dem Wasser gezogen. Es sind Regenbogen Forellen, "Trucha Arcoiris" und Bachforellen, "Trucha de arroyo".
Am Abend machen wir ein grosses Weihnachts-Lagerfeuer, wickeln die Forellen in Alufolie und legen sie direkt auf die Glut des Holzfeuers. Ihr Fleisch ist leutend rosa und nimmt durch das Pektin in den Schalen der winzig kleinen grünen Krappen, die unter anderem ihre Nahrung sind, die Farbe eines Lachses an. Darum sind die patagonischen Forellen innen so rosa. Ihr Fleisch ist butterzart und sie schmecken uns ausgezeichnet.
Dieser Platz am Lago Guacho ist ein absolut magischer Ort.
Dabei ist heute Heiligabend und die gesamte westliche Welt bewegt sich in einem Irrsinn aus funkelnden Lichtern, wetteifernden Einkäufen und gestresster Aufregung. Im Gegensatz befinden wir uns in einer natürlichen, schlichten Umgebung, ohne Ablenkung und sind erfüllt von Glück und Zufriedenheit.

Bei "Palena" überqueren wir die Grenze nach Chile. "Pingelig" genau durchsucht der Zöllner unsere Schränke, Schubladen und den Kühlschrank nach Frischprodukten. Ruth schwitzt Blut, denn sie befürchtet, dass der Beamte unsere gut versteckten Forellen, das Trockenfleisch und das Gemüse finden könnte. Beim Schuggeln von Fleisch und anderen Frischprodukten wäre eine heftige Geldbusse fällig. Gut verstaut ist halb gewonnen! Der Zöllner gibt das Zeichen zur Weiterfahrt und wir rollen zum 8.x nach Chile.

Carretera Austral

Wie schon vor knapp einem Jahr, fahren wir bei strahlendem Sonnenschein die Carretera Austral südwärts. Schroffe Berge, hängende Gletscher, klare Seen und jede Menge Primärwald zieht an unserem Autofenster vorüber. Ein Unterschied besteht zu unserer letzten Tour auf dieser Strecke. Kaum kommt ein Fluss oder ein See und schon stehe ich bis zur Hüfte im kalten Wasser und werfe die Angel aus. Komme ich dann mit einer Forelle zurück höre ich schon von weitem eine mir bekannte Stimme:"Nicht schon wieder Fisch zum Z' Nacht"!

Silvester feiern wir alleine für uns an einem kleinen Bach, eingezäunt mit violetten Wildblumen, mitten im Nirgendwo. Um 8 Uhr abends, wenn in der Schweiz Mitternacht ist, knallen die Korken und wir feiern unser 3. Reisejahr.

Auf die Beschreibung der nächsten, südlichen 600 km verzichten wir. Diese Etappe hatten wir vor 10 Monaten bereits befahren und sind unter dem Reisebericht 34, Patagonien, schon einmal erläutert worden. Zu dieser Zeit fuhren wir bis nach Cochrane und sind über den Passo Roballo wieder nach Argentinien eingereist.
Nun aber haben wir genügend Zeit, denn wir stehen erst am Anfang der Saison. Wir haben uns entschlossen, die 225 km lange Strecke nach Villa O'Higgins unter die Räder zu nehmen. Die meisten Reisenden verzichten auf diese Tour, denn Villa O'Higgins ist für alle Autofahrer eine Sackgasse und man muss die gleichen 225 km wieder zurück. Dies jedenfalls gilt nicht für die zahlreichen Fahrradfahrer. In Villa O'Higgins können sie ein Boot nehmen, das sie über den gleichnamigen See führt und danach geht ein Wanderweg bis zur argentinischen Grenze, in der Nähe von "El Chaltén".
Wir fahren am wilden Rio Baker entlang Richtung "Caleta Tortel". In diesem Dorf, das auch das "Venedig Südamerikas" genannt wird, sind die Strassen durch ein Labyrint von Fussgängerbrücken ersetzt worden. Die Fahrzeuge stehen etwas oberhalb des Dorfes und danach geht es nur noch zu Fuss weiter. Alle Häuser stehen auf Stelzen und sind am steilen Hang gelegen. Will man einkaufen oder seinen Nachbarn besuchen, ist man unweigerlich auf die verzweigten Hozstege angewiesen. Diese für Südamerika sehr spezielle Architektur gibt dem 600 Seelendorf einen einzigartigen Charakter. Doch wir fragen uns, was macht man hier wenn man alt oder gehbehindert ist? Kaum ist man aus dem Haus kommt schon die erste Treppe und vom Dorf bis zum Parkplatz hat es bestimmt 100 von diesen.
Auf unsere Frage meint der Restaurantbesitzer: "An 300 Tagen im Jahr regnet es hier. Dass ihr heute so schönes und heisses Sommerwetter antrifft, ist eine Seltenheit".
Hier, in Caleta Tortel, treffen wir wieder auf die 2 Radlerinnen von Australien. Per Zufall hatten wir schon gestern den gleichen Schlafplatz am Fluss ausgesucht und sie am Abend auf ein Café in unseren Suri eingeladen. Diese 2 zähen, jungen Mädels sind vor zwei Jahren von Alaska aus gestartet und haben mehr oder weniger die gleiche Strecke wie wir gemacht. Mehrmals haben sie die 4000 Meter hohe Andenkette mit dem Velo überquert. In drei Wochen müssen sie in Ushuaia sein und danach geht es zurück nach Australien zum Geldverdienen.
"Und, habt ihr weitere Pläne", frage ich sie?
Da leuchten ihre Augen. "Wenn wir wieder etwas Geld verdient haben dann wollen wir mit dem Fahrrad von Irland aus quer durch Europa, Russland bis in die Mongolei. Von dort über China nach Indien und wieder zurück in unsere Heimat nach Perth radeln."
Wirklich verrückt, diese 2 Aussi Mädels!

Auf der schmalen Kiesstrasse, die sich um Felsen und Lagunen windet, treffen wir immer wieder auf verschiedene Klimazonen. Feuchter Regenwald wechselt sich ab mit dichtem Kieferwald. In den höheren Lagen gedeiht der Primärwald mit Südbuchen und Zypressen, bevor dieser abgelöst wird durch die karge, steinige Gebirgslandschaft
Hoch oben an den Bergen hängen breite Gletscherzungen. Nalcapflanzen, eine Art Rhabarbergewächs, säumen ebenfall die Strasse und Bäche. Nur sind deren Blätter mehr als doppelt so gross als bei unserer Rhabarber. Riesenfarne hängen über Felsen oder bilden das Unterholz des Urwaldes.
Noch vor einigen hundert Jahren war hier alles von Gletschern bedeckt. Nun sehen wir überall leuchtend blaue, überhängende Gletscherzungen, von denen wilde Wasserfälle ins Tal rauschen. Mal sind die Flüsse gründ-blau oder milchig-weiss vom Sediment-Geschiebe der unzähligen Gletscher. Eine wilde, fast menschenleere Gegend.

Auf dieser Strecke, der Carretera Austral, begegnen einem Reisende mit allen denkbaren, fahrbaren Untersätzen. Mal sind es Backpacker und Autostopper, vor allem junge Israeli, dann wieder Radfahrer, welche oft die gesamte Panamericana von Alaska bis Feuerland befahren und unsere absolute Hochachtung geniessen, dann Motorradfahrer und schliesslich Reisende mit einem Fahrzeug ähnlich wie wir es haben.

Einblick in ein bäuerliches Auswanderer Leben

"Hallo, ich bin die Anne! Ich betreibe zusammen mit meiner Familie hier in der Nähe eine kleine Gemüsefarm. Hättet ihr Lust und Zeit uns ein wenig beim Einfahren des Heues zu helfen?"
Mit diesen Worten werden wir auf der Strasse von Chile Chico von einer deutsch-stämmigen, jungen Frau angesprochen. Eben haben wir zum vierten Mal Didi und Susanne angetroffen und sind am Strassenrand am plaudern. Erstaunt schauen wir einander an und sagen spontan zu. So fahren wir hinter Anne her zu ihrem kleinen Bauernhof, den sie zusammen mit ihrem Mann und den 2 kleinen Kindern, 2 und 4, bewirtschaftet. Zwei Tage lang hieven wir schwere Heuballen, so um die 300, auf den Ladewagen und anschliessend muss noch alles im "Heugaden" verstaut werden.
Am Abend schmerzen unsere Rücken von der ungewohnten Arbeit. Doch das feine Assado und der frische Holunder-Blütensaft, den uns Anne vorsetzt, lässt die kleinen "Wehwehchen" vergessen.
Sie erzählen uns viel vom Leben in Chile aus der Sicht eines Auswanderers.
Anne meint: "Hier haben wir viel weniger Stress als in Deutschland, haben eine grössere Freiheit und das Leben läuft in gemächlicheren Bahnen ab."
Natürlich sehen wir auch die Kehrseite der Medaille. Als Kleinbauer verdienen sie sehr wenig und sparen liegt einfach nicht drin. Auch die ärztliche Versorgung und das schulische Angebot ist sehr dürftig. Ihr Mann, Oskar, hat zur Zeit heftige Zahnschmerzen. Im lokalen Spital geben sie ihm Antibiotika und Schmerzmittel mit der lapidaren Aufforderung, in 6 Tagen wieder zu kommen, da der Zahnarzt nur einmal in der Woche hier vorbeischaut.
Auch Ersatzteile für technische Geräte sind schwierig Aufzutreiben und teurer als in der Schweiz.

Obwohl sie sich Mühe zur Integration geben, sind sie doch immer die "Deutschen Ausländer". Im Grunde genommen vermissen sie den sozialen Kontakt zu Gleichgesinnten doch sehr.
Diese 3 Tage mit Anne und ihrer lieben Familie war für uns alle sehr interessant. So bekamen wir einen realen Einblick in ein chilenisches Alltagsleben und obwohl sie in einfachen Verhältnissen hausen, ohne Telefon und Fernseher, machen sie auf uns den Eindruck eines ausgefüllten und glücklichen Lebens. Ihr Leben hat sich aller Überflüssigen Schichten entledigt und ist auf das Wesentliche reduziert. Tauschen mit ihnen möchte jedoch keiner von uns vieren.

Am nächsten Tag beschliessen wir, zusammen mit Anne, Oskar und ihre 2 wilden Kinder einen Familienausflug zum Lago "Jeinimeni" zu unternehmen. Mehrere Stunden holpern wir über eine Waschbrettpiste und durch mehrere Flussläufe zu diesem abgelegenen See. Genau das richtige fur uns "Einsamkeits-Fanatiker". Hier verbringen wir die nächsten Tage mit fischen und langen Spaziergängen in dieser einsamen Bergregion mitten im Nirgendwo auf halbem Weg ins Niemandsland. Die Landschaft hätte von einem Kind gezeichnet und ausgemalt sein können. Unten der See, oberhalb die bizarren Felstürme und darüber ein blauer Himmel. Wir lassen den Blick in alle Richtungen schweifen. Es ist nichts zu sehen. Kein Restaurant, kein Rauch weil jemand kocht, kein Geschrei spielender Kinder und was am wichtigsten ist, kein Lärm durch Radios.


Evakuation

Doch ganz so einsam wie Schiffbrüchige auf einer einsamen Insel sind wir doch nicht. Am Morgen fährt der Park-Rancher vor und meint: "Ihr müsst unverzüglich zusammenräumen und die Gegend so schnell als möglich verlassen. Weiter nördlich gehen heftige Regenfälle nieder und etliche Flüsse in der Umgebung schwillen bedenklich an, so dass ihr in ein paar Stunden diese nicht mehr durchqueren könnt."

Obwohl es hier nur ein wenig nieselt, packen wir eiligst alles zusammen und machen uns auf den Rückweg. Tatsächlich! Schon der erste Fluss führt Hochwasser und die Strömung hat im Gegensatz zu unserer Hinfahrt bedenklich zugenommen. Doch es bleibt uns keine andere Wahl. Hier müssen wir einfach durch, wollen wir nicht für mehrere Tage oder Wochen in diesem Tal blockiert sein. Unsere Bedenken sind übeflüssig. Der Suri meistert dieses Hinderniss pravurös.

Früh morgens, im blassen Licht des anbrechenden Tages, schälen wir uns unter der Bettdecke hervor. Auf keinen Fall dürfen wir die reservierte Fähre verpassen, die uns von Chile Chico über den Lago General Carrera nach Puerto Ibanez bringt. Zusammen mit 40 anderen Fahrzeugen, lassen wir uns auf dem Kahn heftig durchschaukeln. Der Wind bläst in Orkanstärke und mächtige Wellen mit weissen Schaumkronen lassen die Gischt über das kalte Wasser fegen. Am gegenüberliegenden Ufer bläst der Wind den Sand hoch in die Lüfte und die orangefarbene Sonne, die wie ein Ballon über dem Rande der Gipfel hängt, lässt sich durch den Nebel nur verschwommen wahrnehmen.

In Villa Cerro Castillo platzen wir mitten in ein Volksfest mit Rodeo, Ochsenwagen-Umzug und das Brandmarken von Rindern.
Doch mehr dazu im nächsten Bericht.